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Foto: Monika Gajdzik

Interview
Montag, 04.03.2024 19:00 Uhr | Johanna Herzog

Ademi: Team ist Einheit, in der jeder für jeden kämpft

Orhan Ademi ist bereits seit Oktober Teil des Teams von Dietmar Hirsch. Der 32-jährige Stürmer kann seit Beginn der Rückrunde endlich der Mannschaft auf dem Platz weiterhelfen. Wir haben uns mit Orhan zum Interview getroffen, um über seinen spannenden Karriereweg zu sprechen.

AM BALL: Bereits seit Mitte Oktober bist du Teil des Teams. Wie kam es zu deinem späten Wechsel an den Hünting?

Orhan Ademi: "Im Sommer habe ich mich bereits zweieinhalb Wochen lang in Bocholt fit gehalten. Christopher Schorch hat mir diese Gelegenheit ermöglicht, da wir uns noch gut aus unserer Zeit als Spieler kennen und oft gegeneinander gespielt haben. So ist der erste Kontakt entstanden. Nach dem zweiwöchigen Training war es mein Ziel, mich nach einem passenden Verein umzusehen und die verfügbaren Optionen zu prüfen. Besonders wichtig war mir dabei, dass ich hier in der Region bleiben konnte, da meine Frau und ich drei Kinder haben und wir keinen Umzug in Betracht ziehen wollten. Allerdings bot sich in dieser Zeit kein passendes Angebot, was dazu führte, dass Christopher Schorch und ich erneut in Kontakt traten. Wir haben ausführlich miteinander gesprochen und schließlich habe ich mich für einen Wechsel nach Bocholt entschieden."

AM BALL: Bei deiner Freigabe zur Spielberechtigung gab es einige Komplikationen, sodass du erst zur Rückrunde dein erstes Pflichtspiel bestreiten konntest. Wie bist du mit der Situation umgegangen? 

"Ich spiele schon seit vielen Jahren Fußball, aber eine solche Situation habe ich bisher noch nie erlebt. Es war für mich schwer nachvollziehbar, wie ein Profiverein wie der VfB Oldenburg die Abmeldung eines Spielers vergessen konnte. Das war frustrierend, denn man trainiert die ganze Woche hart und gibt 100% mit dem Wissen, dass man am Wochenende nicht spielen darf. Am Ende des Tages ist das Training zwar wichtig, aber auch die Spielerfahrung zählt. Als Wettkampftyp möchte ich mich im Training beweisen, um dann am Wochenende auf dem Spielfeld zu stehen. Mein Ziel ist es nicht, der Trainingsweltmeister zu sein. Das war schon eine mentale Herausforderung."

AM BALL: Wie hast du dich in dieser Zeit in die Mannschaft eingelebt?

"Ich kannte die Jungs bereits aus den Trainingseinheiten im Sommer. Obwohl ich nicht spielen durfte, war ich bei jedem Heimspiel dabei – in der Umkleidekabine, bei den Ansprachen und auf dem Spielfeld nach dem Spiel. Daher hatte ich nie das Gefühl, kein Teil der Mannschaft zu sein. Es war eine ungewohnte Situation, aber die Jungs haben es mir leicht gemacht und mich gut in das Team integriert."

AM BALL: Im Januar ging es dann ins Trainingslager in die Türkei. Du hast sicherlich schon einige Trainingslager mit anderen Mannschaften absolviert. Gab es für dich Unterschiede zu anderen Trainingslagern?

"Große Unterschiede gab es nicht. Ein Trainingslager ist egal in welcher Liga dazu gedacht, um intensiv und in Ruhe zu trainieren. Wir haben dort keine Woche Urlaub gemacht. Es war schon sehr anstrengend, aber wir hatten trotzdem viel Spaß nach den Einheiten und so soll es auch sein und so kenne ich das auch von den anderen Vereinen."

Die Dynamik hier ähnelt der in meiner Aufstiegssaison in Braunschweig.

Orhan Ademi

AM BALL: Gebürtig bist du Schweizer, hast aber nur in deiner Jugend in der Schweiz gespielt, warum hast du dich in so jungen Jahren für den Weg nach Österreich entschieden?

"Mit 15 Jahren habe ich mich für einen Wechsel nach Österreich zum SCR Altach entschieden, da ich etwas Neues ausprobieren wollte. Ich habe mir von diesem Schritt eine größere Chance erhofft, mich beweisen zu können und den Sprung in den Profibereich zu schaffen. Obwohl die Schweiz und Österreich vielleicht weit weg klingen, war der Verein nur 10 Kilometer von meinem Heimatort in der Schweiz entfernt. Daher konnte ich in dieser Zeit auch noch weiter zu Hause wohnen."

AM BALL: In der Saison 2008/09 hast du mit SCR Altach Juniors die Eliteliga Voralberg (4. Österreichische Liga) gewonnen und wurdest sogar Torschützenkönig. Was ist das für ein Gefühl, so jung gleich zwei Titel zu gewinnen? 

"Ich habe damals nicht besonders viel darüber nachgedacht. Zu dieser Zeit lief alles wie geplant und auch ziemlich schnell. In der Saison erhielt ich sogar einen Anruf von den Verantwortlichen der ersten Mannschaft, die mir sagten, dass ich mit den Profis trainieren darf. Anschließend durfte ich sogar mein erstes Spiel im Profibereich machen. Allerdings lief es dann für den Verein nicht mehr so gut und wir sind in diesem Jahr aus der ersten Liga abgestiegen. Für junge Spieler wie mich war das jedoch positiv, da man wusste, dass man in der zweiten Liga eine größere Chance hat zu spielen. Ich habe dann drei Jahre lang in der zweiten Liga gespielt."

AM BALL: Kannst du dich noch an deine erste Einwechslung in der österreichischen Bundesliga gegen Rapid Wien erinnern?

"Das war ein Moment, der für jeden Fußballer etwas Besonderes ist. Ich war noch sehr jung und die Gelegenheit, mein Debüt als Profi vor einer solchen Kulisse zu geben, war einfach unbeschreiblich. Zu der Zeit spielte ich in einer Mannschaft mit Ailton, und gemeinsam auf dem Feld mit so einem Fußballer zu stehen, war ein schönes Erlebnis, das mir niemand mehr nehmen kann."

AM BALL: Konntest du den schnellen Erfolg deiner Karriere in diesem Alter schon realisieren?

"Ich konnte damit realistisch umgehen. Ich glaube, es hat mir sehr geholfen, dass ich noch zu Hause gewohnt habe. Ich war beim Training, ich habe mein Spiel gespielt, anschließend bin ich nach Hause gekommen und da war meine Familie, die mich wieder auf den Boden gebracht hat. Ich war sehr froh über die Unterstützung und dass mein Papa mich die ersten drei Jahre zum Training gefahren hat und die Familie voll und ganz hinter mir stand. Wenn ich in diesem Alter woanders gewesen wäre, weg von meiner Familie, wüsste ich nicht, ob ich den Schritt geschafft hätte. Ich wusste, dass ich jetzt Profi bin, aber ich wusste auch, wo ich zwei Jahre zuvor noch stand und habe es nicht für selbstverständlich angesehen."

Orhan Ademi im Testspiel gegen Viktoria Köln. Foto: Monika Gajdzik

AM BALL: Nach deiner Zeit beim SCR Altach ging es für dich nach Deutschland zu Eintracht Braunschweig. 

"Ich war 20 Jahre alt, als mich Braunschweig angefragt hat. Die zweite österreichische Liga lässt sich nicht direkt mit der zweiten deutschen Bundesliga vergleichen. Es war immer mein Ziel, in Deutschland zu spielen. Bereits als kleiner Junge verfolgte ich aufmerksam die Bundesliga, auch aus der Schweiz. Als dann die Anfrage kam, musste ich ehrlich gesagt nicht lange darüber nachdenken. Obwohl ich einen Berater hatte, betonte ich immer: Egal, was sie sagen, ich möchte dorthin gehen. Ich möchte diesen Schritt wagen. Mein Ziel war Deutschland und so habe ich die Anfrage von Braunschweig angenommen."

AM BALL: Was waren für dich die größten Unterschiede im Fußball zwischen Österreich und Deutschland?

"Obwohl ich bereits Profi in Österreich war, war es für mich eine völlig neue Situation. Es gibt einen Unterschied zwischen dem professionellen Fußball in Österreich und in Deutschland. Das war für mich anfangs etwas Neues. Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen, aber dann kam ich nach Deutschland und es war wieder eine Stufe höher. Wenn man sich die Professionalität anschaut, wie die Kabinen eingerichtet sind und der Kraftraum, dachte ich mir, jetzt bin ich wirklich bei den Profis angekommen. Ich wusste, dass es für mich vielleicht nur diese eine Chance gibt und die musste ich nutzen. Ich musste zeigen, dass ich hier bestehen kann. Aber zu Beginn war es ein wenig schwierig, denn es war das erste Mal, dass ich von meiner Familie getrennt war. Es war nicht einfach, aber ich habe mich durchgesetzt und es geschafft. Im Training spürt man auf jeden Fall eine höhere Intensität. Der Fußball ist hier intensiver und schneller. Sowohl im Training als auch in den Spielen steckt mehr Biss dahinter. In Deutschland gibt es ein anderes Verständnis vom Fußball – die Gegner sind stärker und das Tempo ist höher."

AM BALL: Du bist in deiner ersten Saison mit Braunschweig direkt als Tabellenzweiter der zweiten Bundesliga aufgestiegen. Ein Moment, von dem viele Fußballer träumen. Wie fühlt sich so ein Aufstieg in die Bundesliga an? 

"Damals war Braunschweig erst das zweite Jahr in der zweiten Bundesliga. Wir haben die Saison gestartet ohne große Erwartungen und schauten, was möglich war. Dann haben wir die ersten acht Spiele gewonnen und die Stimmung in der Mannschaft wurde immer besser. Plötzlich dachten wir, wir können nicht nur mithalten, sondern auch dominieren und unsere Gegner schlagen. So ist das Team zusammengewachsen. Am Ende wurde es zwar wieder knapp, aber jeder im Verein, jeder in der Mannschaft wollte es schaffen, weil es eine einmalige Gelegenheit war. Schließlich sind wir noch vor dem Saisonende in Ingolstadt aufgestiegen. Da ist ein Kindheitstraum wahr geworden. Ich denke, mehr als die erste Liga zu erreichen, ist nicht möglich. Jeder Fußballspieler möchte in der ersten Liga spielen. Wenn mich jemand fragen würde, welche Momente in der Bundesliga der schönste war, würde ich sagen, dass alle Spiele, die ich gespielt habe, besonders waren. Egal in welchem Stadion, ob auswärts oder zu Hause, die waren einfach voll. Das hat man dann einfach genossen. Natürlich war das erste Bundesliga-Tor gegen Schalke ein wahnsinniger Moment. Aber insgesamt war es, glaube ich, ein besonderes Jahr."

Das Team hier in Bocholt ist eine Einheit, in der jeder für jeden kämpft.

Orhan Ademi

AM BALL: Auf welches Spiel in der Bundesliga hast du dich am meisten gefreut? 

"Da ich Bayern München-Fan bin auf das Spiel gegen Bayern. Natürlich sind Vereine wie Bayern und Dortmund etwas Besonderes. Aber ein Spiel gegen Bayern München, egal ob in München oder zu Hause, hat schon eine besondere Bedeutung für mich. Gegen die Bayern zu spielen, war ein Traum von mir, der wahr wurde. Damals hatten sie auch Pep Guardiola als Trainer. Ich hätte mir das Spiel nicht besser vorstellen können."

AM BALL: Wie fühlt es sich an, in so einem riesigen Stadion wie der Allianz Arena vor so vielen Fans zu spielen? 

"Man merkt es nicht wirklich. Freunde von mir waren oft mit im Stadion und haben nach dem Spiel erzählt, wie gut und laut die Stimmung war. Doch auf dem Spielfeld habe ich das nie so empfunden. Im Spiel unter dem Einfluss von Adrenalin ist man stark auf sich selbst und das Ziel des Teams fokussiert, da blendet man alles andere aus. Zu Beginn der Spiele ist man vielleicht etwas überwältigt. Man schaut sich um und hört, wenn jemand schreit, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran."

AM BALL: Wie groß ist der Leistungsunterschied von der 1. zur 2. Bundesliga?

"In der Bundesliga war es zumindest für mich so, dass ich das Gefühl hatte, viel Platz bei der Ballannahme zu haben. In der zweiten und dritten Liga hast du diese Zeit nicht, besonders in der dritten Liga. Sobald du den Ball bekommst, hast du dort immer zwei oder drei Gegner um dich herum. Das war in der ersten Liga nicht der Fall. Die Spieler in der ersten Liga beherrschen den Fußball mit ihrem Auge und der Erfahrung und sind einfach einen Schritt schneller im Kopf und sind taktisch sehr gut aufgestellt."

AM BALL: Du warst im Kader U21 der Schweiz unter anderem mit Roman Bürki, Fabian Schär, Josep Drimc und Haris Seferovic. Wie hast du davon erfahren, dass du im Kader bist?

"In meinem ersten Jahr bei Braunschweig habe ich einen Anruf von dem damaligen Trainer Pierluigi Tami bekommen. Ich wusste, dass die Leute genau auf mich schauen würden, wenn ich in Deutschland spiele. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde. Daher war es umso schöner, dabei sein zu dürfen. Es war eine gute Erfahrung. In der Nationalmannschaft ist es dann doch noch mal anders als im Verein. Es gibt viele Spieler aus verschiedenen Ländern, die zusammenkommen. Für mich war es etwas Neues und ich dachte mir einfach, dass ich dahin fliege, die Zeit genieße und dann schaue, was daraus wird. Das Training war gut und ähnlich wie das, was ich aus den Vereinen kannte. Die Abläufe waren ähnlich wie in einem Trainingslager. Der große Unterschied war, dass wir viele Spieler aus verschiedenen Ligen waren, da muss man sich auch erst mal auf jeden einzelnen im Training einstellen."

AM BALL: In der dritten Liga hast du unter anderem für den MSV Duisburg gestürmt. Nach der Saison 21/22 hast du den Schritt nach Rumänien gewagt in die Superliga zum UTA Arad. Wie kam es zu dem Schritt nach Osteuropa?

"Ich hatte zwei Jahre in Duisburg gespielt und wollte eigentlich dort bleiben. Manchmal klappt es im Fußball,manchmal nicht. Wir konnten uns nicht einigen, also entschied ich mich, ins Ausland zu gehen. Auch wenn Österreich und Deutschland schon ein Schritt ins Ausland für mich waren, wollte ich gerne Erfahrungen in einem Land sammeln, in dem nicht Deutsch gesprochen wird. Im Sommer kam dann eine Anfrage aus Rumänien und ich dachte sofort: Rumänien, das mache ich. Ich bin für zwei Tage dorthin geflogen, hab mir das Training dort angeschaut und war positiv überrascht, weil ich eigentlich etwas anderes erwartet hatte. Nachdem ich das mit meiner Familie besprochen hatte, habe ich mich für den Schritt nach Rumänin entschieden. Ich habe dort auch ganz andere Erfahrungen als in Deutschland und Österreich gemacht. Die Liga und die Menschen sind definitiv anders. Nach über zehn Jahren in Deutschland und Österreich, wo Pünktlichkeit sehr wichtig ist, war es in Rumänien anders. Die Menschen nehmen viele Dinge etwas lockerer. Das war für mich neu. Den Vertrag dort hatte ich für ein Jahr unterschrieben. Ich war dort auch alleine ohne Familie und Kinder und hatte mir die Situation dort anders vorgestellt. Es war nicht einfach, weder für mich noch für meine Frau und Kinder. Nach einem halben Jahr entschied ich mich zurückzukehren."

AM BALL: Mit Braunschweig bist du auch unerwartet aufgestiegen. Hier in Bocholt erlebst du gerade eine ähnliche Situation. Kannst du Parallelen erkennen?

"Wenn man in einen Lauf kommt, muss man diesen so lange wie möglich durchhalten. Am Anfang habe ich zu den Jungs gesagt, dass ich das Gefühl habe, hier genau die Dynamik wie damals in Braunschweig zu haben. Dabei rede ich von dem Zusammenhalt und wie die Jungs miteinander umgehen. Ich dachte, sowas wie damals bei der Eintracht werde ich nicht nochmal erleben, aber das Team hier in Bocholt ist genau so eine Einheit, in der jeder für jeden kämpft. Wir müssen versuchen, dieses Gefühl zu bewahren, ohne es zu erzwingen. Wenn wir weiterhin so zusammenhalten, ist vieles möglich. "

AM BALL: Du bist einer der erfahrensten Spieler in der Mannschaft. Wie versuchst du, deinen Mitspielern auf dem Spielfeld zu helfen?

"Ich denke, als Spieler habe ich viel gesehen. Aber ich sage immer, egal wo man ist, überall wird Fußball gleich gespielt. Ich kann die Situation durch meine Erfahrungen vielleicht ein bisschen anders einschätzen als die jungen Spieler, die vielleicht weniger Erfahrung haben. Ich versuche ihnen dann die Spielsituationen zu erklären und sie nehmen das auch immer gut an."

AM BALL: Wie verbringst du Tage, an denen kein Fußball ist?

"Ich habe zwei Mädchen und einen Jungen. Die freie Zeit vor und nach dem Training verbringe ich mit den Kindern und meiner Familie."

AM BALL: Danke für das Gespräch, Orhan!