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Foto: Monika Gajdzik

Interview
Donnerstag, 07.04.2022 18:06 Uhr | Benjamin Kappelhoff

"Für die Stadt wäre es extrem wichtig, noch attraktiver zu werden."

Der 1. FC Bocholt hat vor Kurzem sein Kompetenzteam außerhalb des Platzes mit dem ehemaligen Fußballprofi Christopher Schorch verstärkt. Der 33-Jährige wird ab sofort am Hünting im Hintergrund Strukturen und Abläufe verbessern und mit seinem Know-how an der nachhaltigen Professionalisierung des Vereins mitwirken. Zudem macht Schorch beim 1. FC eine Sportmanagement-Ausbildung. Er stand in seiner Profikarriere unter anderem bei Hertha BSC, dem 1. FC Köln und Real Madrid unter Vertrag. Zuletzt war der in Halle geborene Abwehrspieler beim Regionalligisten Wuppertaler SV aktiv und lebt mit seiner Partnerin Celine Preuß (Zweitligaspielerin bei Borussia) mittlerweile in Bocholt. Wir haben uns mit „Schorchi“ zum Gespräch getroffen.

Das Interview wurde für die Sonderausgabe der AM BALL für das Pokalspiel gegen den MSV Duisburg geführt.

AM BALL: Du hast eine spannende Laufbahn als Profi erlebt. In der vergangenen Woche hast du deine Karriere beendet. Wie schwer ist dir dieser Schritt gefallen? 
Christopher Schorch: "Natürlich sehr schwer, wenn man überlegt, dass man sein ganzes Leben nichts anderes gemacht hat, außer Fußball zu spielen. Wenn man dann aufgrund einer Verletzung aufhören muss, ist es natürlich extrem bitter. Ich hätte noch gern zwei oder drei weitere Jahre gespielt, aber es ist halt manchmal so. Dadurch, dass ich schon seit längerer Zeit nicht mehr spielen konnte und auch gesehen habe, was für Probleme ich deswegen schon im Alltag habe, habe ich gemerkt, dass der Weg zurück nicht mehr wahrscheinlich geschweige denn überhaupt möglich ist. Man kann und muss sich damit irgendwann abfinden. Es ist zwar bitter, aber letztlich hat sich jetzt ja etwas Neues ergeben. Ich bin froh und dankbar, jetzt so einen sauberen Übergang gefunden zu haben."

Gibt es in deiner Karriere einen Moment, der für dich am bedeutendsten war oder der dich in irgendeiner Weise besonders geprägt hat?
"Man muss natürlich immer sagen, dass dich vieles im Fußball prägt – auch Erfolge im Jugendfußball, die ich erlebt habe. Ich weiß noch, wie ich bei einem Turnier von der Grundlinie aus ein Tor wie Marco van Basten geschossen habe. Das stand später überall groß geschrieben. Danach bin ich bei Hertha in der B-Jugend Deutscher Meister geworden und habe es dort relativ früh in die Bundesliga geschafft. Ich hatte tolle Spiele mit der Hertha, auch, weil sich die Fans unfassbar mit dem Verein identifizieren. Wir waren damals mit Real Madrid die beste spanische Profimannschaft und 26 Spiele ungeschlagen. Aber auch die Derbys mit Köln oder Cottbus, dann der Aufstieg in Duisburg und später mit Uerdingen, zuletzt auch in Saarbrücken das DFB-Pokal-Halbfinale als Regionalligist sowie der Aufstieg in die 3. Liga: Das sind alles schöne Momente, die ich erleben durfte und die mir niemand nehmen kann."

Du giltst ja auch wegen deiner vielen Stationen als bestens vernetzt im nationalen und internationalen Fußball. Wenn wir jetzt mal dein Handy-Telefonbuch öffnen würden, was wären dann die bekanntesten zwei Namen, die wir finden?
"Definitiv Raúl. Ich habe über all die Jahre versucht, mir ein Netzwerk aufzubauen. Und ich denke, Raúl ist da von knapp 4500 Kontakten der Bekannteste. Aber es gibt auch viele andere: Guti (ebenfalls ehem. spanischer Nationalspieler, Anm. der Red.) würde ich noch sagen, und natürlich viele Jungs aus der Bundesliga. Raúl hat mich damals auf sein Abschiedsspiel auf Schalke eingeladen. Das hat mir damals viel bedeutet. Daher versuche ich auch, den Kontakt zu halten und ihn im Sommer wieder beim Training zu besuchen. Er ist ja Trainer der Zweiten Mannschaft in Madrid. Ich habe bei Real immer noch einen sehr guten Draht zu vielen alten Bekannten."

Im Gespräch mit den Kollegen des Bocholter-Borkener Volksblatts hast du in einem Nebensatz erwähnt, dass du bei Chelsea-Trainer Thomas Tuchel hospitieren warst. Ist das wahr? 
"Ich kenne Thomas Tuchel, seit ich 16 bin. Damals entstand die Freundschaft über Ádám Szalai, der zu dieser Zeit der beste Freund von Thomas war. So entstand damals auch Adáms Wechsel von Madrid zu Mainz. Ich habe Thomas damals auch in München erlebt, als er sich mit Pep Guardiola ausgetauscht hat. Bei meinem Besuch in London habe ich mir so einige Fußballstationen angeschaut. Ich habe dann auch Thomas Tuchel kontaktiert und durfte schließlich beim FC Chelsea hospitieren. Natürlich immer mit Blick auf uns hier in Bocholt: Wo gibt es Dinge im Kleinen zu verbessern, um im Großen einen Unterschied zu machen? Das sind die Themen, die mich umtreiben. Wenn ich irgendwo unterwegs bin, schaue ich mir eigentlich immer Fußball an. Eigentlich kenne ich in jeder Stadt und in jedem Land jemanden, zu dem ich einen guten Draht habe."

Wie bist du überhaupt am Ende beim 1. FC Bocholt gelandet?
"Durch meine Freundin, die bei Borussia Bocholt in der 2. Bundesliga spielt, hatte ich ja bereits einen Bezug zur Stadt. Ich war dann das ein oder andere Mal hier und habe mir Spiele angeschaut. Dort habe ich Präsident Ludger Triphaus kennengelernt. Das intensivierte sich dann und führte zu der wie ich finde sehr guten Idee, eine Zusammenarbeit anzustreben."

Du verfolgst das Geschehen am Hünting schon seit mehreren Wochen. Man hört sehr oft, dass du sehr viel Präsenz zeigst, selbst bei Jugend- und Freundschaftsspielen. Was ist dein bisheriger Eindruck vom Verein, den Strukturen und dem Potential?
"Ich denke, dass vieles hier bereits sehr gut läuft. In meinen Augen ist die Zusammenarbeit mit der Stadt sehr wichtig, denn wir haben hier einen Verein, in dem riesiges Potential steckt. Im Moment finde ich die Kooperation mit der Stadt zu dünn in Relation zu dem, was hier möglich wäre. Für die Stadt wäre es extrem wichtig, noch attraktiver zu werden. Man hat Einkaufsmöglichkeiten, kann spazieren oder feiern gehen, hat eine gute Gastronomie und einen schönen See. Aber ich finde es schade, dass der Verein nicht stärker dabei unterstützt wird, professionell zu spielen. In der Jugendabteilung haben wir viele junge und sehr fleißige Trainer, die sehr wissbegierig sind und echt gute Arbeit machen. Aber ich glaube, dass man diese Coaches noch weiterentwickeln kann und das erhoffe ich mir auch von mir selbst. Ich möchte ihnen mit meiner Erfahrung helfen. Ich möchte vermitteln und fördern, dass wir nicht nur den „Spieler“, sondern den Menschen, der sich dahinter verbirgt, begleiten. Wir sind schließlich kein Nachwuchsleistungszentrum bei einem Bundesligaverein, sondern ein kleiner Verein mit großer Tradition. Unsere Stärke muss sein, greifbar und nahbar für Spieler und deren Eltern zu sein. Wir können uns um diese Spieler vernünftig kümmern - größere Vereine können das nicht. Das müssen wir nutzen, um hier etwas richtig Gutes zu entwickeln."

Für unsere 1. Mannschaft die springt aktuell Rang Zwei in der Oberliga Niederrhein heraus. Wie bewertest du die Chancen für den Regionalliga-Aufstieg?
"Zwei Punkte sind im Fußball nichts, das haben wir schon mehrfach gesehen. Es waren mal fünf, und man muss es so sehen: Es gibt eine starke Entwicklung der Mannschaft. Vergleicht man das Hinrundenspiel gegen Kleve mit dem Pokalspiel vor wenigen Wochen, reden viele von einer „unattraktiven Begegnung“. Aber man hat gemerkt, dass die Mannschaft ‚erwachsener‘ geworden ist. Für viele Spieler war die Kulisse, vor so vielen Zuschauern zu spielen, sicher auch neu. Seit der Winterpause löst die Mannschaft Situationen auch mal unkonventionell und möchte nicht mehr alles spielerisch lösen. Das ist gut so, denn Fußball ist immer noch ein Ergebnissport. Mit einem 1:0 bekommst du drei Punkte und kommst auch im Pokal eine Runde weiter. Ich erhoffe mir, dass das Team das in die nächsten Spiele mitnimmt. Es sind jetzt schlicht und ergreifend zehn Finalspiele für uns, das muss man sich vor Augen halten."

Im Niederrheinpokal geht es gegen den MSV Duisburg, wo du ja auch eine Vergangenheit hast: Du hast 2014 dort gespielt.
Ja, zu einigen Verantwortlichen im Verein habe ich auch nach wie vor Kontakt. Ich wurde erst vor Kurzem zum Spiel gegen Saarbrücken eingeladen. Natürlich habe ich nicht mehr zu jedem einzelnen Spieler einen Draht. Wenn ich die Jungs allerdings am Mittwoch hier sehe, nehme ich die natürlich kurz in den Arm und sage ihnen freundlich „lass bloß den Sieg hier”. (lacht)

Welche Chance hat der 1. FC Bocholt im Pokalkracher heute gegen die zwei Klassen höher spielenden Duisburger?
Ich bin in Saarbrücken mit einem Regionalligisten bis ins DFB-Pokal-Halbfinale gekommen, wir haben dort drei Bundesligisten ausgeschaltet. Es gilt einfach: Im Pokal ist alles möglich, weshalb ich Pokalspiele auch so liebe. Wir müssen verinnerlichen, dass wir hier heute Abend zuhause sind und vor ausverkaufter Hütte spielen. Wir müssen mit Selbstbewusstsein und Spaß am Spiel auftreten. Dann ist heute Abend einiges möglich, erst Recht mit den zahlreichen Fans im Rücken.

Unsere Stärke muss sein, greifbar und nahbar für Spieler und deren Eltern zu sein. Wir können uns um diese Spieler vernünftig kümmern - größere Vereine können das nicht.

Christopher Schorch